»Die Bodenständigen« ist Deutschlands schönstes Regionalbuch 2020
Transkript des Video-Ausschnitts
Lisa Neher
Ich weiß gar nicht, wo ich bei dem Buch anfangen soll. Es ist wirklich ganz vieles. Und der Titel ist im Gegensatz dazu was ganz einfaches, nämlich »Die Bodenständigen«. Und bei diesem Buch könnte man genauso fortfahren. Hinten drauf steht: »Es ist nicht der Wunsch nach Singularität sondern der nach Bodenständigkeit«. Und genau sowas könnte man die ganze Zeit bei diesem Buch sagen. Es war das einzige Taschenbuch von den Büchern, die wir jetzt hier dabei haben. Aber das heißt nicht, dass es weniger aufwändig gestaltet ist oder einfacher. Obwohl es erstmal relativ einfach daher kommt, hat es sehr viele Überraschungen parat, zum Beispiel unsere Lieblingsüberraschung, glaube ich, ist hinten am Buchrücken: innen ist nämlich was reingedruckt, was man gar nicht ganz erschließen kann, man müsste das Buch schon aufschneiden, damit man das ganz lesen kann. Aber da werden auch solche Spielerein gemacht, wie »Berühmt aber nicht arrogant« oder hier unten – ich hab’s schon einmal entziffern können – »Bodenständig, reicht aber nicht …« Ja ich kann es jetzt nicht ganz lesen …
Katharina Hesse
Wir fragen sie einfach nachher nochmal …
Lisa Neher
Genau. Aber genau das zieht sich auch durch das ganze Buch durch. Es ist sehr intelligent vom Inhalt, die Autorin Barbara Thériault hat sich auf eine soziologische Art und Weise an Erfurt angenähert. Genau, es ist nämlich ein Regionalbuch über Erfurt. Und es nähert sich eben über die Menschen die dort leben in erster Linie an die Stadt an und nicht eben über die Straßen oder das Stadtbild. Das fand ich auch so … das war etwas, was mich begeistert hat. Die Autorin lebt in Montreal und in Erfurt. Gleich im Vorwort sagt sie, was die Idee hinter ihrem Buch war: Sie hatte eine Freundin zu Gast in ihrem Apartment in Montreal und diese Freundin hat verschiedene Details in ihrer Wohnung fotografiert. Und als sie die Fotos dann gesehen hat, hat sie sich selbst nochmal auf eine ganz andere Art und Weise gesehen. Also ihre eigenen Dinge oder ihre eigenen Charakteristika wurden so noch einmal in ein ganz anderes Licht gerückt. Und genau so ist sie dann auch an die Stadt herangegangen. Das macht für mich echt einen ganz besonderen Reiz aus, weil man so die Stadt aber auch die Mentalität kennenlernt und auf eine ganz charakteristische Art und Weise die Stadt kennenlernt.
Charakteristisch ist auf jeden Fall auch die Typografie, sowohl beim Cover als auch jedes Kapitel wird eingeleitet von einer Headline, die serifenlos ist aber trotzdem etwas charakteristisches hat, weil sie nicht ganz glatt ist. Sie hat etwas verbeultes, aber ohne das negativ zu meinen. Es ist auch etwas sehr verspieltes. Zwischendrin kommen auch farbige Überschriften, die die verschiedenen Kolumnen auch einteilen. Es besteht nämlich größtenteils aus Kolumnen. Sie hat sich hauptsächlich an Texten aus den Zwanzigern und Dreißigern von Siegfried Kracauer orientiert und wollte genau so eine soziologische Sicht auf die Stadt zeigen. Es beginnt mit einem Text über die gleichgeschlechtliche Ehe in Erfurt. Geht dann über Karohemden bis hin zur Stammkneipe im Ortskern. Das ist für mich eine ganze Bandbreite von Themen. Es gibt Kapitel die heißen »Instagrambeauties« und es ist ein schöner Kontrast zum Ursprung den sie bei Siegfried Kracauer herauszieht, im Vergleich zu Parts in dem Buch, wo Chat-Sprechblasen auftauchen oder Emojis im Satz sind.
Dann kommen wir noch zum Satz: Die Fließtext-Schrift ist sehr klassisch und klar lesbar. Aber was hier auch wieder sehr gewagt ist, ist die Spaltenbreite. Es ist nach Innen sehr viel Weißraum gelassen und zwischenrein kommen auch immer Anmerkungen und Fußnoten, die in einem helleren Grauton gesetzt sind. Dort verweist sie auf ihre Quellen. Sie hat zwischendrin Nachträge … Man merkt, da war ganz viel Arbeit am Text.
Es ist ein ganz toller Spagat zwischen Einfachheit und Bodenständigkeit, Detailverliebtheit und Intelligenz.
Katharina Hesse
Wow! Also ich lese es jetzt.
Lisa Neher
Großes Kompliment an die Illustrationen und die Fotos, die sind sehr schön ausgewählt und kommen auch besonders gut auf diesem schön gewählten Papier zur Geltung.
Katharina Hesse
Über Papier haben wir nämlich auch gesprochen. Und übers Aufschlagverhalten. Und man muss schon echt sagen: Das ist ein Taschenbuch, kostet 14 Euro …
Lisa Neher
… Super Preis, finde ich, dafür dass es so aufwändig gemacht ist.
Katharina Hesse
… es ist wirklich relativ günstig. Und, ich darf ja nix sagen, aber es lässt sich schon ziemlich gut aufschlagen. Also wir hatten andere auf dem Tisch. Da mussten wir richtig kämpfen, da haben wir fast Bruno den Esel gerufen, damit er uns hilft.
Lisa Neher
Es ist ein Buch, das man immer wieder aufschlägt. Ähnlich wie bei dem Nokixel. Es ist auch hier der Fall, dass es Kolumnen sind, kurze Texte. Die man, wie sie vorne ganz nett schreibt, man kann sie in der Badewanne lesen, im Garten, in der Straßenbahn. Es sind kurze Feuilletons, die sehr erfrischend sind.
Katharina Hesse
Tja, Einwände? Man kann auch einfach »Ja, ja« sagen »Es ist alles richtig«.
Katharina Erlenwein
Ich wollte nur ergänzen: Es kommt ja so unscheinbar daher, es soll die Bodenständigen abbilden und das tut es auch hervorragend. Und auf diesen großen Biertischen, auf denen wir in praller Sonne riesige Bildbände und dicke Schwarten über ganze Gebirge und ganze Landschaften und Städte hatten, ist es lange in meiner Wahrnehmung untergegangen. Ich habe es ganz zum Schluss bei dieser Reise durch die ganzen schönen Bücher entdeckt und man bleibt an den kleinen Details hängen. Und denkt sich: Es geht auch als Taschenbuch und nicht mal hochglanz, nicht mals sonstwie daherkommend als »Ich bin ein schönes Buch«. Sondern diese kleinen Entdeckungen sind das, was Spaß macht und was vor allem wunderbar zum Inhalt passt.
Katharina Hesse
Ganz kurz, weil wir haben noch zwei Bücher und ich bin ermahnt worden, was natürlich nicht schön ist.
Manfred Rothenberger
Ganz kurz, ich muss noch was dagegen sagen.
Katharina Hesse
Na man muss ja auch nix dagegen sagen, man kann ja auch sagen, »Das ist echt …«
Manfred Rothenberger
Aber ich will … Ich geb dir völlig recht, in allem und innen bezaubert mich das auch. Aber ich habe das schon im Sommer in Cadolzburg gesagt, ich finde das Cover so doof. Mir gefällt das einfach nicht, irgendwie dieses Spiel mit dieser Figur, des ist so wie ein Kinderkrimi, »Siebendundzwanzig Detektive« oder so. Ich finde es Innen viel besser als Außen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht ist es einfach nicht mein Geschmack. Aber es hat mich von außen nicht angesprochen. Aber als ich es aufgeschlagen hab, dann entdeckt man diese Reize. Ich finde das auch mit den Fußnoten, die in Grau eingeschoben sind, eine wunderbare Lösung. Denn Fußnoten sind ja so das Stiefkind der Buchgestalung. Was macht man damit? Versteckt man sie ganz hinten irgendwie im Anhang oder macht macht man sie so klein, dass man denkt da hat eine Mücke hingemacht, oder so. Das finde ich schon gut, dass das so offensiv hier eingesetzt wird. Aber ich kann mit dem Cover einfach nicht … Tut mir leid.
Annalena Weber
Also ich kann mit dem Cover, ich kann auch mit dem Inhalt. Es ist mein absolutes Favoritenbuch, muss ich zugeben. Ich will es bloß in die Runde geben, vielleicht inspiriere ich ja andere. Ich finde es ist typografisch wirklich ausgezeichnet gemacht. Jede Seite ist sehr liebevoll gemacht: auf die Fußnoten wurde genauso geachtet, wie auf die Pagina, wie auf die Kolumnentitel, es gibt Auszeichnungen, es gibt kleine Details, die reingestreut wurden, aber die dominieren nicht. Es ist wirklich ein bodenständiges Buch und das finde ich eine große Kunst. Wenn man all die Bücher sieht, die wir angeschaut haben, das sind alles ziemlich teure Produktionen. Dieses Buch ist keine teure Produktion und es hat uns alle trotzdem so beeindruckt – das muss man erstmal schaffen! Ich finde es wirklich ein sehr beeindruckendes kleines Büchlein.
Lisa Neher
Und ich weiß nicht, ob Sie’s jetzt gemerkt haben, aber genau das war jetzt wieder der Fall gewesen: Es ist nicht teuer produziert, aber …. Und das zieht sich durch das ganze Buch, finde ich: »Es ist so, aber ist auch so«. Und das fand ich einfach konzeptionell ein großes Bild. Applaus ans Konzept …